Michael Patra

Separationsprinzipien

Separation in der Zeit

Eine Separation in der Zeit ist möglich, wenn die beiden widersprüchlichen Anforderungen nur in unterschiedlichen, also disjunkten Zeiträumen erfüllt sein müssen.

Ein Swimmingpool soll mit Wasser gefüllt sein, damit man darin schwimmen kann,
und er soll nicht mit Wasser gefüllt sein,
weil Wasser den Pool beschädigt, wenn es bei Temperaturen unter 0°C einfriert.

Die beiden widersprüchlichen Anforderungen müssen jedoch nicht zur selben Jahreszeit erfüllt sein: Nur im Sommer möchte man im Swimmingpool schwimmen, und nur im Winter gibt es das Risiko von Frostschäden. Dementsprechend ist die Lösung des Widerspruchs ganz einfach: Im Mai wird Wasser eingefüllt, und im September wird es wieder abgelassen.

Die beiden widersprüchlichen Anforderungen an die Wasserfüllung eines Swimmingpools müssen nur zu bestimmten Jahreszeiten erfüllt sein.

Damit erkannt werden kann, dass die beiden Anforderungen nur zu disjunkten Zeiträumen erfüllt sein müssen, werden die beiden Begründungen für die Anforderungen benötigt. Aus diesen Grund ist ein physikalischer Widerspruch ohne die Angabe der Begründungen unvollständig. Im Beispiel konnte der physikalische Widerspruch „Pool gefüllt“ und „Pool leer“ durch Separation in der Zeit einfach gelöst werden. Derselbe Widerspruch ist nicht mehr durch Separation in der Zeit lösbar, wenn die Begründungen anders sind:

Ein Swimmingpool soll mit Wasser gefüllt sein, damit man darin schwimmen kann,
und er soll nicht mit Wasser gefüllt sein,
weil sonst kleine Kinder hineinfallen und ertrinken könnten.

Eine „richtige“ Separation in der Zeit ist nur dann möglich, wenn die beiden Zeiträume, zu denen die beiden widersprüchlichen Anforderungen erfüllt sein sollen, disjunkt sind, also sich nicht überschneiden. Dieses ist eine stärkere Anforderung, als dass die beiden Zeiträume unterschiedlich sein sollen. Dieses wird am folgenden Beispiel deutlich:

Eine Hauswand soll eine Öffnung besitzen, damit Menschen hindurchgehen können,
und sie soll keine Öffnung besitzen, damit kein kalter Wind hineinkommt.

Der Wunsch, dass die Hauswand eine Öffnung haben soll, gilt nicht ständig, sondern nur dann, wenn jemand das Haus betreten oder verlassen möchte. Im Gegensatz hierzu ist zu jedem Zeitpunkt ein Wärmeverlust wegen kalten Windes unerwünscht.

Eine Hauswand soll nur dann eine Öffnung besitzen, wenn jemand durch sie hindurchgehen möchte. Der Wunsch, dass die Hauswand geschlossen ist, um das kalte Wetter draußen zu halten, gilt jedoch dauerhaft.

Die beiden Zeiträume sind also unterschiedlich, aber sie überschneiden sich. Damit ist eine Separation in der Zeit nicht möglich. Dies verwundert vielleicht auf den ersten Blick, weil man oftmals hört, dass eine gewöhnliche Tür eine Separation in der Zeit erlauben würde. Eine Tür führt jedoch nicht zur Befriedigung der widersprüchlichen Anforderungen: Während die Tür offen steht, kann nämlich kalter Wind in das Haus hineinkommen – und genau das Eintreten von kalter Luft sollte ja durch die Forderung, dass die Wand geschlossen ist, verhindert werden. Eine Tür ist also nur ein Kompromiss, aber keine vollwertige Lösung des Widerspruchs.

Eine normale Tür löst den Widerspruch „Wand offen“ und „Wand geschlossen“ nicht auf, da weiterhin kalter Wind eindringen kann, während die Tür geöffnet ist. Eine echte Lösung des Widerspruchs ist eine Drehtür.

Für viele Anwendungen mag dieser Kompromiss gut genug sein, z.B. für ein Einfamilienhaus, bei dem nur ein paar mal pro Tag die Tür geöffnet werden muss. Denkt man aber an einen Bahnhof, in den jeden Tag Tausende von Leute hinein- und hinausgehen, erkennt man schnell, dass eine Tür nur ein Kompromiss ist, und dass dieser Kompromiss in einem Bahnhof viel zu schlecht ist. Für obigen Widerspruch gibt es auch echte Lösungen – eine Drehtür ist ein Beispiel dafür – aber jegliche Lösung kann nicht auf Separation in der Zeit beruhen, da sich die beiden relevanten Zeiträume überlappen.

Eine Ampelanlage ist keine auf Separation in der Zeit beruhende Lösung eines Widerspruchs: Häufig müssen die Verkehrsteilnehmer nämlich an einer roten Ampel warten, die gewünschten Eigenschaften aus dem Widerspruch sind dann nicht erfüllt.

Ein weiteres Beispiel in diesem Zusammenhang ist das folgende: Häufig wird behauptet, dass eine Verkehrsampel die Lösung eines Widerspruchs sei, und zwar eine Lösung mittels Separation in der Zeit. Separation in der Zeit bedeutet jedoch nicht, dass die beiden widersprüchlichen Anforderungen zu verschiedenen Zeitpunkten erfüllt werden, sondern dass sie nur zu verschiedenen Zeitpunkten gefordert sind. Wann immer man an einer roten Ampel ankommt, ist die gewünschte/geforderte Eigenschaft „freie Fahrt“ nicht gegeben. Da jede Ampel im statistischen Mittel zu mehr als 50% der Zeit rot zeigt, wird die Forderung also häufiger nicht erfüllt als erfüllt – eine Ampel ist also keine Lösung, sondern höchstens ein nicht sonderlich guter Kompromiss der widersprüchlichen Anforderungen.

Separation im Ort

Separation im Ort ist möglich, wenn die beiden widersprüchlichen Forderungen an dieselbe Eigenschaft nur an unterschiedlichen Orten, d.h., in unterschiedlichen räumlichen Bereichen erfüllt sein muss.

Eine Garage soll geschlossen sein, damit das Auto im Regen nicht nass wird,
und eine Garage soll offen sein, damit man leicht mit dem Auto hineinfahren kann.

Eine Garage soll geschlossen sein, damit es nicht auf das Auto regnen kann, und sie soll offen sein, damit das Hineinfahren leicht ist.<span

Zeichnet man eine Garage auf und markiert dort, wo die Anforderungen „geschlossen“ und „offen“ erfüllt sein müssen, so ergibt sich die obige Abbildung. Man erkennt sofort, dass die beiden Anforderungen nur in Bereichen, die sich nicht überlappen, erfüllt sein müssen. Ein Carport ist damit eine Lösung des Widerspruchs, und zwar eine Lösung basierend auf Separation im Ort.

Um in eine Garage fahren zu können, muss jedes Mal erst das Tor geöffnet werden. Ein Carport erlaubt das einfache Einfahren, schützt aber trotzdem das Auto vor Regen.

Auch bei diesem Separationsprinzip gilt wiederum, dass die Begründungen für die beiden Forderungen ein essentieller Teil des physikalischen Widerspruchs sind. Der folgende physikalische Widerspruch betrifft wiederum die Anforderungen „geschlossen“ und „offen“ an eine Garage, die beiden Forderungen sind also exakt wie im obigen Widerspruch, allerdings sind die Begründungen jetzt anders.

Eine Garage soll geschlossen sein, damit kein Dieb an das Auto herankommt,
und eine Garage soll offen sein, damit man leicht mit dem Auto hineinfahren kann.

Wie die untere Abbildung zeigt, überlappen sich jetzt die Bereiche, in denen die beiden widersprüchlichen Anforderungen gelten sollen. Dementsprechend ist jetzt keine Separation im Ort mehr möglich, und die eben gefundene Lösung „Carport“ ist keine Lösung mehr.

Eine Garage soll geschlossen sein, damit kein Dieb an das abgestellte Auto kommt, und sie soll offen sein, damit man das Auto leicht hineinfahren kann.

Um erfolgreiche Ansätze für eine Separation im Ort zu finden, ist es hilfreich, möglichst viele Ansichten einer Situation zu zeichnen. Ein einfaches Beispiel hierfür tritt auf, wenn sich zwei Verkehrsflüsse kreuzen.

Eine Kreuzung von zwei Straßen führt zu widersprüchlichen Wünschen der Autofahrer auf den beiden Straßen. Eine Brücke ist eine Separation dieser widersprüchlichen Anforderungen im Ort.

Die Straße soll in Ost-West-Richtung verlaufen,
damit Autos ungestört in Ost-West-Richtung fahren können,
und die Straße soll in Nord-Süd-Richtung verlaufen,
damit Autos ungestört in Nord-Süd-Richtung fahren können.

Die widersprüchlichen Anforderungen an den Straßenverlauf in der Umgebung einer Kreuzung sind unabhängig davon, wie genau die beiden Straßen verlaufen.

Zeichnet man eine Aufsicht der Situation, so ergibt sich die obige Abbildung. Die Bereiche mit den widersprüchlichen Anforderungen überlappen sich, und zwar im eigentlichen Kreuzungsbereich. Verformt man den Verlauf der beiden Straßen etwas, so ändert sich nichts am Überlapp. Würde man nur mit dieser Abbildung arbeiten, wäre die voreilige Schlussfolgerung, dass keine Separation im Ort möglich wäre. In einer Seitenansicht erkennt man allerdings, dass durch geeignete Verformung der beiden Straßen der Überlapp beseitigt wird. Eine Separation im Ort ist daher möglich, und eine Brücke oder ein Tunnel wären eine mögliche Realisierung einer Lösung.

In der Seitenansicht erkennt man, dass durch geeignete Verformung der beiden Straßen der Überlapp beseitigt wird.

Separation in der Beziehung / durch Bedingungswechsel

Eine weitere Möglichkeit der Separation ist die Separation in der Beziehung. Eine Anwendung dieses Separationsprinzip kann dann möglich sein, wenn in den beiden Begründungen auf verschiedene Komponenten Bezug genommen wird.

Die Haustür soll geschlossen sein, damit kein Dieb hereinkommen kann,
und sie soll offen sein, weil sonst der Hund sein Geschäft im Wohnzimmer macht.

oder

Die Außenwand soll offen sein, damit Sonnenlicht hereinkommt,
und sie soll geschlossen sein, damit die Wärme drinnen bleibt.

Ein Hund und ein Dieb unterscheiden sich in ihrer Körpergröße. Dieses kann ausgenutzt werden, indem die Öffnung so klein gemacht wird, dass nur der Hund durch sie hindurchkommt. Sonnenlicht ist ein elektromagnetisches Feld, während Wärme primär durch Konvektion, also an Luft gebunden, transportiert wird. Eine Glasscheibe läßt Licht hindurch, ist also aus Sicht des elektromagnetischen Feldes offen, während sie aus Sicht der Luftmoleküle geschlossen ist.

Separation in der Beziehung: Die beiden widersprüchlichen Anforderungen beziehen sich auf verschiedene Komponenten, wie z.B. Luft und Licht oder Hund und Mensch.

Im Beispiel der Haustür unterschieden sich Hund und Dieb in einer relevanten Eigenschaft, wodurch eine Separation in der Beziehung möglich ist. Die Haustür wurde hierbei dauerhaft etwas verändert, nämlich durch das Hinzufügen einer kleinen Zusatzöffnung. In anderen Fällen wird diese Veränderung nur temporär durchgeführt. Daher wird dieses Separationsprinzip oft auch als Separation durch Bedingungswechsel bezeichnet.

Beim Sandstrahlen werden kleine Teilchen, typischerweise Sand (wie der Name bereits impliziert), von einem Luftstrom auf das zu bearbeitende Werkstück geschossen. Dadurch wird die oberste Schicht des Werkstücks abtragen und das Werkstück dabei geglättet. Nachteil ist, dass die festen Teilchen das Werkstück verschmutzen und für die Person, die das Sandstrahlen durchführt, gesundheitsschädlich sind. Dieses kann durch den folgenden physikalischen Widerspruch beschrieben werden:

Die Teilchen im Luftstrom sollen fest sein, damit genug Material abgetragen wird,
und sie sollen nicht fest sein, um keinen Schmutz zu hinterlassen.

Eine Lösung für diesen Widerspruch ist es, an Stelle von einem Festkörper (wie z.B. Sand) gefrorene Luft zu verwenden. Die gefrorenen Luftteilchen sind ein Festkörper, können also Material vom Werkstück abtragen, aber danach verdampfen sie und hinterlassen damit keine Rückstände.

Beim Sandstrahlen müssen kleine Festkörperteilchen (z.B. Sand) verwendet werden, um einen hinreichend Materialabtrag zu erreichen. Diese Teilchen verschmutzen allerdings das Arbeitsfeld.

Separation im System / durch Systemübergang

Zwei widersprüchliche Anforderungen können dadurch vereinbar gemacht werden, indem sie auf verschiedenen Systemebenen erfüllt werden. Dies bedeutet, dass sich das System auf verschiedenen Längenskalen verschieden verhält: im Kleinen hat das System die eine Eigenschaft, im Großen aber die entgegengesetzte Eigenschaft.

Ein Riemen zur Kraftübertragung ist durch folgenden physikalischen Widerspruch geprägt:

Der Riemen soll weich sein, damit er um das Antriebsrad herum geführt werden kann,
und er soll hart sein, damit er eine höhere Kraft übertragen kann.

Ein Keilriemen kann nur eine begrenzte Kraft übertragen, bevor er reißt. Eine Kette ist deutlich belastbarer.

Eine Lösung dieses Widerspruchs liegt in der Verwendung einer Kette. Schaut man sich die kleinen Bestandteile der Kette an, so bestehen diese aus hartem, unverformbaren Metall. Die Kette als Ganzes ist dagegen elastisch und kann daher genau wie ein Riemen um Kurven geführt werden. Je nachdem, auf welcher Längenskala man das System untersucht, ergeben sich also entgegengesetzte Eigenschaften.

In der Nomenklatur der Funktionsmodelle ist jedes technische System in ein Obersystem eingebettet, und die Teile des technischen Systems werden als Untersysteme bezeichnet. Separation im System bedeutet also, dass das System eine andere Eigenschaft als das Obersystem oder eines seiner Untersystem besitzt. Das System „Fahrradkette“ ist weich, während das Untersystem „Kettenglied“ hart ist.

Ein weiteres Beispiel ist der folgende Widerspruch für sich kreuzende Verkehrswege:

Vier sich treffende Straßenabschnitte sollen eine Kreuzung besitzen,
damit man von jedem Straßenabschnitt zu jedem anderen wechseln kann,
und sie sollen keine Kreuzung besitzen,
da Kreuzungen gefährlich sind (und andere Lösungen wie eine Ampel sehr teuer).

Ein Kreisverkehr sieht aus großem Abstand (z.B. auf einer Landkarte) wie eine Kreuzung aus. Lokal besteht er aber nicht aus einer Kreuzung, sondern aus vier getrennten Einmündungen.

Eine Lösung dieses Widerspruchs ist ein Kreisverkehr. Aus der Ferne betrachtet, z.B. auf einer Straßenkarte, ist er nicht von einer Kreuzung unterscheidbar. Damit erfüllt er auch alle nützlichen Funktionen einer Kreuzung, erlaubt den Verkehrsteilnehmern also eine freie Fahrtrichtungswahl. Aus der Nähe betrachtet besteht ein Kreisverkehr dagegen nur aus Einmündungen, und Einmündungen sind nun einmal sicherer als Kreuzungen, weswegen ein Kreisverkehr die Anzahl der Unfälle gegenüber einer Kreuzung verringert.

Befriedigung der widersprüchlichen Anforderungen